Michael Steffens
Ein Zimmer im Hotel Vielleicht
Stories
180 S., 18,90 Euro
ISBN 3-937821-01-05

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Michael Steffens
geb. 1969 in Dortmund
lebt unterwegs

 

Textprobe:

Das Feuerzeug ist mein einziges Souvenir aus Asien. Es ist ein Zippo. Vietnam, Tuy Hoa, '66–'67 steht vorne drauf geschrieben. Hinten drauf steht: Let me win your heart and mind or I'll burn your god damn hut down. Ich bin mir nicht sicher, ob das Ding ein Original oder eine Fälschung ist, aber das ist in diesem Falle völlig gleich. Jemand gibt mir die Tageszeitung.

Rezensionen:

Großer Bruder vom großen Bruder

Beinahe manisch: Auf die Wahrnehmung kommt's an, weiß Michael Steffens in seinen »Stories« aus dem »Zimmer im Hotel Vielleicht«

In Dortmund gibt es eine neue Buchedition, den NEON Verlag. Er ist hervorgegangen aus der seit 2000 erscheinenden Literaturzeitschrift dO!PEN (www.do-pen.de), die schon zwölf runde Ausgaben aufweist. Der kürzlich erschienene Titel »Ein Zimmer im Hotel Vielleicht« verdient Beachtung. Der 1969 geborene Autor Michael Steffens hat zwei Dutzend »Stories« versammelt; manche passen ihm auf eine Seite.
  Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen und Kolleginnen entpackt Steffens dabei nicht bloß unmotiviert das alles überdeckende Fernsehprogramm – von Wickie bis hin zu den starken Männern – und den Rest einer ereignislosen Jugend; auch wenn es sich zunächst so anzulesen scheint.
  Doch in Steffens Schwarte wird überwiegend Widerstand geleistet. Gegen die Uniformierung des Denkens. Gegen genormtes Alptraumglück.
  »Wir hatten aber keine Lust uns unterzuordnen. Wir wollten die Schatten zurück, die Lichtlanzen nach dem Sommerregen, die wuchernden Pflanzen, die Tümpel mit den Kaulquappen und später im Jahr die Froschkonzerte.« Solche Erfahrungen prägen für gewöhnlich, sind ein ganz hervorragender Anreiz für die spätere kontemplative Lebensgestaltung. Freiräume verteidigen oder zurückerobern, gegen Modernisierung, schnellen Profit und die Urbanisierung des Urbanen – etwa NATO-Stacheldraht auf den Metallzäunen der Dächer neureicher Berliner oder meinetwegen sogar Dortmunder Dachgeschoßlumpen. Schließlich hat der große Bruder noch einen großen Bruder im Ärmel versteckt.
  Steffens & Cía. steigen ihm gehörig aufs Dach. Und die Sicht von da oben ist irgendwie reiner und klarer, als sich in der Bar des Wilden Karl den Überlebenskampf einer ins Dunkelbier abgestürzten Stechmücke anzutun; oder über das gemeine Zechprellen-Absterben zu lamentieren.
  »Die beste Bildung findet der Mensch auf Reisen«, wußte bereits Goethe-San. Steffens Buch ist beinahe manisch unterwegs. Etwa in Kambodscha. Seine mit präzisem Brennglas skizzierten Momentaufnahmen sind – scheinbar nebensächliche – Nachrichten aus der globalisierten Welt: »Nebenan putzte der ehemalige Lehrer eines seiner sieben Mopeds. Er verlieh sie für fünf Dollar am Tag, was ihm bedeutend mehr einbrachte, als die 40 Dollar pro Monat im Lehramt.«
  Ja, die ansprechend komponierten Geschichten (inoffizieller Anspieltip: »Very lonely planet«) flüchten überwiegend in die Realität. Tittenfotografierenden Großstadtindern in Goa und spirituellen Eckenstehern auf der Suche nach dem verlorenen Blues stehen dann eben Neugeborene mit »schiefen Zahnreihen« gegenüber. Es ist alles im Fluß. Alles andere hieße Dürre. »Bewegung ist Meditation« – Steffens, der »Deutsche im Fleischkostüm eines Asiaten«, hat verstanden. Und mit ihm wir.
  Reisen um des Reisens willen. Unterwegs. Nie irgendwo ankommen. Du bist immer nur du selbst. Ein winziger Lichtpunkt im Universum. Ein kleines unbedeutendes Stück Kuhfladen. Was mehr gäbe es zu verlangen? – »Wer nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile schreiben.« (Goethe) Good luck, entonces, Steffens-San …
André Dahlmeyer (»junge welt« vom 03.02.2006)


Kalt, zynisch und brutal sind die 2 Dutzend Kurzgeschichten, die M. Steffens hier zusammenstellt. Lebens- und menschenverachtend, geht es um Weltenbummler oder andere Personen, die sich bewusst selber ins Abseits stellen. Sie beschäftigen sich vorwiegend mit Alkohol- und Drogenkonsum, Schlägereien und Sex. Sie haben Mühe, ihre Langeweile zu betäuben und die Zeit totzuschlagen. Es gibt zwar auch einige tieferschürfende und ernsthaftere Episoden, zusammen mit ein paar Brocken pseudophilosophischer Betrachtung des Lebens reicht das allerdings nicht aus, das Gefühl des Überdrusses zu verdrängen, das man am Ende empfindet, wenn man das Buch aus der Hand legt. Teilweise gut beobachtet und charakterisiert, hinterlässt aber ein negatives Grundgefühl. Für Bibliotheken mit speziellem Bedarf an dieser Art junger, aggressiver Literatur.
Dagmar Härter, ekz-Informationsdienst